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Sigrun Gunnarsdóttir hat als professionelle Künstlerin ihre ganz eigene charakteristische Bilderwelt entwickelt.
Ausgabedatum: 24.02.2020
Artikelnr.: PPC030220
Wert: 156,00
Kunst: Sigrun
Gunnarsdóttir
Die Künstlerin
Sigrun Gunnarsdóttir wurde 1950 auf Eiði geboren. Dort wuchs sie auf, dort nahm
ihr Interesse an der Malerei bereits in der Kindheit ihren Anfang, und dort hat
sie als professionelle Künstlerin ihre ganz eigene charakteristische Bilderwelt
entwickelt.
Sigrun
Gunnarsdóttirs Bilder sind einfach und komplex zugleich, auf ihre stille Art
kommunizieren sie mit uns und regen uns zum Nachdenken an. Sie arbeitet mit
allem, was mit Menschen zu tun hat, und ihre Bilder stellen allerlei
existentielle Fragen. Sigruns Motive stammen u. a. aus Märchen, aus der
Verbindung zwischen den Generationen, aus Grönland und aus allgemein bekannten
und persönlichen Geschichten.
Ihre ersten Werke
zeigen deutlich, dass sie das naturalistische Handwerk beherrscht, doch Mitte
der 90er Jahre wendet sie sich einer symbolischen Bilderwelt mit einer einfacheren
Ausdrucksweise zu, die auch surrealistische Züge haben kann. Eine charakteristische
Bilderwelt, die sie seitdem fortwährend weiterentwickelt hat. Sie lässt das Motiv
vor ihren Augen los und malt aus ihren Gedanken heraus.
Das Interesse am
Malen begleitet Sigrun Gunnarsdóttir seit ihrer Kindheit. Große Bedeutung hat
hierfür auch gehabt, dass sie mit den Werken und Geschichten ihres Großvater
Niels Kruse (1871 - 1953), des ersten färöischen Landschaftsmalers,
aufgewachsen ist. Sigrun hat immer gewusst, dass sie Künstlerin werden wollte,
und wurde von zu Hause auch darin unterstützt. 1971 zog sie als 21-Jährige nach
Kopenhagen, um dort von 1971 bis 1973 auf die Kunstschule Glyptotekets Tegneskole zu gehen, wo sie von Robert Askou Jensen unterrichtet
wurde. Dieser forderte sie auf, sich an der Königlich Dänischen Kunstakademie
zu bewerben, die sie nach ihrer Aufnahme von 1973 bis 1980 besuchte. Zu ihren
Professoren gehörten u. a. Wilhelm Freddie und Sven Dalsgaard. 1980 ließ sie
sich auf Eiði nieder, wo sie auch heute noch ihr Atelier hat.
Im Laufe ihrer Karriere
kann Sigrun Gunnarsdóttir auf zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen
zurückblicken. Ihre Bilder kommen weit herum, außer in Skandinavien wurden sie
u. a. in der T.A.G. Gallery in New York, im Sunshine International Museum in
Beijing und in der JARFO Art Gallery in Kyoto ausgestellt. 2018 präsentierte Færøernes
Kunstmuseum ihre erste Retrospektive. Außerdem hat sie Kunstwerke für Kirchen
und öffentliche Gebäude auf den Färöern geschaffen.
Zwei
Mütterporträts
Auf dem ersten
Bild, Mutter Teresa auf Eiði (2019), sehen wir eine alte Frau mit
Strickzeug sitzen. Sie trägt Alltagskleidung, auf dem Tisch vor ihr liegen zwei
frisch gebackene drýlar* und eine
Bibel. Man kann sich den Duft des frischen Brotes vorstellen, das Geklapper der
Stricknadeln und das sanfte Schlurfen weicher skóleistar* über den Boden hören. Ein niedlicher Hund liegt zu
ihren Füßen, an der Wand hängt ein Bild von Mutter Teresa, und durch das
Küchenfenster sieht man eine wunderschöne Aussicht. Das Bild lässt sich
zeitlich und örtlich genau bestimmen, es zeigt eine ganz bestimmte Küche in
Yviri í Gjógv auf Eiði, von der man genau diesen Blick auf die Felsformation Risin og Kellingin hat. Es ist das
Porträt einer realen Frau, die jeder im Ort kannte.
Auf dem anderen Bild
werden wir ebenfalls in die gemütliche Küche einer alten Frau eingeladen. Die
Frau wirkt ruhig und hat große und starke Arme und Hände. Sie trägt eine
Schürze und ist dabei, ihrer Enkelin ein Stück Brot abzuschneiden. Wir sehen
die Wange der Großmutter, während sie sich dem Enkelkind zuwendet. Die Verbindung
zwischen diesen beiden steht im Mittelpunkt. Eine schwarze Bibel hebt sich
deutlich vom hellen gelben Tisch ab, ganz rechts hinter der Frau ragt die Kante
einer offenen Tür in den Raum und rahmt das Bild ein. Genau wie auf dem ersten
Bild. Obwohl viele Dinge abgebildet sind, wirkt alles bemerkenswert ausgewogen.
Die Komposition und die großen Farbflächen bilden ein Gleichgewicht, und die
gedämpfte blaue Farbe in verschiedenen Nuancen verbindet Vordergrund und
Hintergrund und fasst die Bilder zusammen. Dies scheint die Geborgenheit und
Ruhe, die sie ausstrahlen, zu unterstreichen.
Alte Frauen sind
eines der Hauptmotive in Sigrun Gunnarsdóttirs Kunst, die sie in knapp zwei
Jahrzehnten in verschiedenen Versionen gemalt hat. Hier hat Sigrun ihre Mutter
bzw. Großmutter porträtiert, doch durch die präzise und schlichte
Ausdrucksweise wird das Bildmotiv auch allgemein menschlich – zu einer
Schilderung eines Archetypus, der auch auf der anderen Seite der Erde einen
Widerhall finden kann. Die treusorgende und weise Mutter, gehärtet von den
Kämpfen des Lebens, unerschütterlich im Glauben an einen größeren Zusammenhang.
Ein Mut machendes Bild angesichts des egozentrischen Individualismus der
heutigen Zeit.
Das Motiv der
Mutter des Künstlers ist wohlbekannt. In der färöischen Kunstgeschichte gibt es
Beispiele wie das Bildnis meiner Mutter von Sámal Joensen-Mikines von
1934, das Porträt, Mutter, ca. 1955 von Ruth Smith, Meine Mutter,
das Ingálvur av Reyni 1971 malte, und Die Mutter des Künstlers, ein Werk
von Zacharias Heinesen von 1992. Ganz unterschiedliche und innige Schilderungen
in expressivem, naturalistischem oder form- und farbexperimentellem Stil.
Sigrun Gunnarsdóttir leistet einen ganz anderen Beitrag zur färöischen
Kunstgeschichte, ihr Stil ist einfach – naivistisch, wenn man so will – und
symbolisch.
Sigrun Gunnarsdóttirs Bilder erzählen Geschichten. Neben den Motiven komponiert sie ihre Bilder aus Symbolen, Zitaten und anderen erzählenden und alltäglichen Dingen. Und wie es für Sigrun typisch ist, bildet der christliche Glaube oft den Ausgangpunkt. Wir erkennen ihre Symbole wieder, weil sie von einem Bild ins nächste wandern. Und ob die Symbole nun aus dem Christentum stammen oder allgemeinerer Natur sind, so erhalten sie im Kontext – und natürlich in der Interaktion mit dem Betrachter – ihre jeweilige Bedeutung. Als Beispiel können wir die Tür nennen, die auf den Übergang vom irdischen Leben in die unbekannte Welt auf der anderen Seite der Tür hinweist, denn das Leben dieser alten Frauen neigt sich dem Ende zu. Wenn man das erste Bild genau betrachtet, sieht man einen winzigen Vogel auf dem Boden zwischen der Frau und dem Hund sitzen, der den Vogel still anblickt. Er ist ganz unscheinbar und fällt nicht weiter auf, ist aber ebenso wichtig wie der Rest.
Quasi ein Echo des Zitates auf dem Bild von Mutter Teresa: „Be faithful in small things because it is in them that your strength lies.“ Und nicht zuletzt das Brot. Im Christentum steht das Brot u. a. für den Leib Christi, für das Teilen und für ganz konkrete, aber auch geistige Nahrung, wie es im Vaterunser heißt: „Unser täglich Brot gibt uns heute“.
Sigrun Gunnarsdóttirs Werke handeln von allem Menschlichen, und hier kann das Brot ganz einfach etwas so Grundlegendes bedeuten wie das Bedürfnis nach geistiger Nahrung, das uns Menschen gemeinsam ist. Das zweite Bild heißt nämlich Das Brot, das den Hunger stillt (2014), und hier wird die Nähe zwischen den Generationen angesprochen. Das Bild stellt Fragen zur Erinnerung, was es bedeutet, sich zu Hause zu fühlen, und über die Stimme und was sie mit sich bringen kann.
Mirjam Joensen
Kunsthistorikerin
* Ungesäuertes
färöisches Brot in Zylinderform, das in der Pfanne und im Ofen gebacken wird
* Gestrickte
Wollpantoffeln