Brynhilds Lied - FR 320-23
KURZ
ZU DEN SIGURDLIEDERN
Die nordische Welt hat viele kulturgeschichtliche Schätze zu bieten. Berichte,
deren Entstehungsgeschichte sich in grauer Urzeit verlieren, haben im Laufe der
Jahrhunderte das nordische Selbstverständnis und Zusammengehörigkeitsgefühl
geprägt und gestaltet.
Eines der Flaggschiffe der nordischen Kulturverbundenheit sind die färöischen
Sigurdlieder, ein eigenständiger Zyklus aus Liedern und Liedfragmenten mit ca.
1.482 auf 15 Lieder verteilten Strophen. Diese Lieder unterscheiden sich
eindeutig von anderen ähnlichen Berichten, z.B. den isländischen Eddaliedern
bzw. dem Nibelungenlied. Bei den ältesten Liedern handelt es sich
wahrscheinlich um Nachdichtungen aus dem 14. Jh. (wo der Reigen eingeführt
wurde) auf der Grundlage noch älterer Volksballaden, die von den norwegischen
Siedlern, die die Färöerinseln Anfang des 9.Jhs. besiedelten, mitgebracht
wurden.
Der Hauptstamm des färöischen Zyklus besteht aus den drei sogenannten großen
Sigurdliedern, und zwar 'Regin Schmied' von 131 Strophen, 'Brynhilds Lied' von 238
Strophen und zuletzt 'Høgnes Lied' von 254 Strophen.
Diese Serie enthält eine Auswahl von Interpretationen des mittleren dieser
großen Lieder, 'Brynhilds Lied'. Die Interpretationen nehmen als Ausgangspunkt,
daß die Lieder mythisch, d.h. Sinnbilder undefinierbarer Begriffe wie z.B. die
kosmische Ordnung (Regin Schmied) oder die zyklische Zeitauffassung aus der
Sicht unserer Ahnen (Brynhild und Høgnes Lieder) sind.
BRYNHILDS LIED
Brynhild, die Tochter von König Buðle, meidet Freier. Sie überredet ihren Vater
dazu, die Zwergschmiede eine Mauer aus Feuer um ihren Saal herum bauen zu
lassen. Das Schutzfeuer ist so hoch, daß nur der größte aller Helden es
überwinden kann, weshalb sich Brynhild Buðledatter jetzt dahinter setzt, um
'Sigurd aus anderen Ländern heranzuziehen'.
Östlich der Länder erwacht Sigurd aus einem Alptraum, in dem sein Pferd Grane
in einer Flut aus Blut watet. Er geht in seinen Garten, wo ihm 'Iðgurnar'
berichten, daß sich die wunderschöne Brynhild Buðledatter danach sehnt, ihn zu
treffen. Dies läßt sich Sigurd nicht zweimal sagen. Er reitet sofort gegen den
brennenden Berg und kommt unterwegs so weit nach unten, daß er am Hof
Jukegården vorbeireitet. Dort steht die Frau von Jukegården, Grimhild, und
fragt ihn, wohin er reitet. Da Sigurd seinen Reisezweck verrät, lädt ihn
Grimhild ein, die eigene Tochter zu besuchen. Sigurd lehnt aber das Anerbieten
ab und reitet weiter.
Sobald Sigurd am Berg Hildarfjeldet gut angekommen ist, läßt er Grane über das
Schutzfeuer springen. Er sprengt die Türen des Saals mit seinem Schwert.
Drinnen findet er Brynhild, die in vollem Panzer schläft. Sigurd schwingt
wieder das Schwert und schlitzt Brynhilds Panzer auf. Anschließend erwacht sie
und heißt ihn willkommen. In ihrer Liebe wird Ásla Sigurdsdatter (Kraka in der
Sage von Ragnar Lodbrok) empfangen. Sigurd bestätigt ihre Liebe, indem er zwölf
goldene Ringe und noch dazu den großen Königinnenring auf Brynhilds Schoß legt.
Nach sieben Monaten auf Hildarfjeldet bereitet sich Sigurd trotz Brynhilds
Proteste darauf vor, nach Hause zu reiten. Sie warnt ihn davor, zu nahe an
Jukegården heranzukommen, wo die schöne Guðrun Jukedatter wohnt. Sigurd tröstet
sie, indem er ihr ewige Treue verspricht, und reitet dann aus. Während seines
Ritts sperrt ihm ein schreckliches Ungeheuer den Weg. Egal wohin er das Pferd
lenkt, befindet sich das Ungeheuer stets vor ihm. Schließlich gibt Sigurd auf
und reitet zu Jukegården. Dort verschwindet das ekelhafte Ungeheuer. Zurück
sitzt Grimhild, die mit zwei Seilen am Boden gefesselt ist.
Nachdem Sigurd in Jukegården angekommen ist, bietet Guðrun ihm auf Anregung von
Grimhild einen Willkommbecher, dem Vergessenheitstrank beigemischt worden ist.
Sobald Sigurd vom Horn getrunken hat, vergißt er völlig Brynhild Buðledatter
und heiratet kurz danach Guðrun Jukedatter.
Brynhild wird verzweifelt, als sie von Sigurds Untreue erfährt. An einem Tag,
an dem sie hinunter zum Fluß gegangen ist, um dort zu baden, kommt Guðrun und
sagt, daß sie, da sie nunmehr mit dem besten Mann der Welt verheiratet ist, Anspruch
darauf hat, im Strom vorne zu gehen, denn sie möchte nicht im von Brynhild
verschmutzten Badewasser gehen. Die jungen Frauen haben Streit, als Guðrun aber
Brynhild dem Vorwurf macht, ihre Jungfräulichkeit verscherzt und Schande über
ihren Vater gebracht zu haben, wird Brynhild so wütend, daß sie sich
entschließt, Sigurd zu töten.
Als Brynhild nach Hause gekommen ist, gebärt sie ein Kind weiblichen
Geschlechts, das Ásla Sigurdsdatter genannt wird. Brynhild will aber nichts von
ihm wissen und befiehlt, das Kind in den Fluß auszusetzen. (Eines der anderen,
kleineren Sigurdslieder berichtet davon, wie das Kind wieder gefunden wird,
sowie von seinem Aschenbrödeldasein, bis es Ragnar Lodbrok heiratet, was aber
eine ganz andere Geschichte ist.)
Brynhild Buðledatter verbündet sich jetzt mit Guðruns Brüdern Gunnar und Høgne.
Auf ihren Rat hin laden die Jukebrüder Sigurd zu einem Ausritt ein. Zuvor haben
sie Sigurd Salzfleisch zu essen, aber nichts zu trinken gegeben. Als sie zu
einem Fluß kommen, steigt Sigurd deshalb vom Pferd, um seinen Durst zu löschen.
Er wird dann von hinten von den Brüdern überfallen. Høgne sticht und Gunnar
haut. So stirbt Sigurd Sigmundssøn, der größte aller Helden, durch die Hand
seiner Freunde. Zeitgleich damit, daß Sigurd sein Leben verliert, bricht
Brynhilds Herz, und sie stirbt gleichzeitig mit dem Mann, der sie so arg im
Stich gelassen hat.
Die Jukebrüder bringen Sigurds Leiche zurück zu Jukegården. Sie legen ihn ins
Bett, in dem Guðrun schläft. Als sie erwacht, ist sie mit dem Blut ihres
Ehemannes verschmiert.
Guðrun betrauerte Sigurd zeit ihres Lebens und schwor, sich an ihren Brüdern zu
rächen. Im dritten der großen Sigurdlieder, 'Høgnes Lied', wird berichtet, wie
Guðrun systematisch und gnadenlos die Jukebrüder vernichtet.
Sigurd ist getötet worden, Brynhild ist gestorben, und zurück sitzt Guðrun mit
ihrer Trauer. In einer der letzten Strophen von Brynhilds Lied heißt es in
freier Übersetzung: 'Es ist so wahr, wie es gesagt wird / daß die Gefühle der
Frau zärtlich sind / Guðrun geht durch die ganze Welt / sie hält Grane im Zaum.
Die
Sonne ist untergegangen, der Tag ist zu Ende, und die Nacht geht still und
traurig durch die ganze Welt. In ihren Fußstapfen folgt das Riesenpferd (das
Sternbild Pegasus). Zusammen wandern sie von Osten nach Westen, bis der junge
Tag anbricht, und Ásla die Reise ihrer Mutter über die Himmelsbahn antritt.